Wo Tradition serviert wird

Auch Winnetou saß schon im Café Witetschka, in einem der ältesten Häuser der Stadt. Der neue Eigentümer brachte viel frischen Wind herein - das legendäre Club-Sandwich aber blieb auf der Karte.

Manch ein Lokal brüstet sich mit sei­ner langen, abwechslungsreichen Geschichte. Oliver Andersch, Betreiber des Café Witetschka, schmunzelt darüber nur. Sein Café ist vermutlich das einzige Lokal, das im 14. Jahrhundert eine Synagoge und im 15. Jahrhundert eine katholische Allerheiligenkapelle war, ehe es ein evangelisches Bethaus samt Schule wurde. 1911 hielt dann die Gastronomie Einzug in das Haus am Allerheiligenplatz. Jahrzehnte­ lang von der Familie Witetschka ge­führt, gab diese dem Café auch gleich seinen Namen.

Was dem Wiener sein Sacher, ist dem Wiener Neustädter sein Witetschka. Ein Kaffeehaus mit Tradition, ein Ort zum Sehen und Gesehenwerden, ein Treffpunkt der Kulturschaffenden und der Stadt­Szene an einem der schönsten Plätze der City. „Winnetou“ Pierre Brice war hier ebenso zu Gast wie Niki Lauda. Kruder & Dorfmeister, das international bekannte DJ­ und Produ­zenten­Duo aus Österreich, das einst mit Madonna zusammenarbeitete, hat­ten im Witetschka einen viel umjubel­ten Auftritt.

Oliver Andersch war achtzehn, als er im Witetschka als Kellner begann. Rasch verfiel er „der Sucht“ Gastronomie, wie er es nennt. Ob im Witetschka, in der Herrengasse, bei Pepi Stachl oder im Hobl & Scher – der ausgebildete Che­ mie­Ingenieur arbeitete in allen In­ Lokalen der Stadt. Selbst als er schon im höheren Management tätig war, jobbte er nebenbei am Wochenende als Barkeeper und DJ. Erst als sich mit seiner Frau Claudia Nachwuchs ankündigte, verließ er die Gastronomie. Doch die Gastronomie verließ ihn nicht.

Und so kam es, dass der ehemalige Kellner das Café im November 2020 als Eigentümer übernahm. Just zu jener Zeit, als sich die Gastronomie in einen coronabedingten monatelangen Ruhemodus begeben musste. „Am Anfang war uns das sogar sehr recht“, erzählt Oliver Andersch, „so konnten wir das Lokal ohne Eile und behutsam auf Vordermann bringen.“ Hier hat man einen großen Kristallluster aufgehängt, dort die Ecken mit Grünpflanzen dekoriert, da die Beleuchtung gedimmt. Abends sorgt ein DJ für entspannte Hintergrundmusik. Das Witetschka ist nun wieder eine Café-Bar und schließt am Samstag erst um zwei Uhr. „Bei allen Veränderungen war uns aber wichtig, den Charakter des Witetschka beizubehalten“, betont der 51-Jährige, der hauptberuflich eine Reinigungsfirma mit fünfzig Mitarbeitern betreibt.

Erneuert wurde die Küche, und das nicht ohne Grund: Die Speisekarte bietet nun mehr als nur Würstel und Toast, etwa eine Hawaiian Prawn Bowl, ein Gericht mit Garnelen, Chili und Knoblauch. Dafür sorgt auch Michael Zahorecz, gebürtiger Ungar und vormals Koch in einem Londoner Sterne-Restaurant. Eines Tages lehnte er in der Tür und sagte: „Euer Lokal gefällt mir. Kann ich da arbeiten?“

Wenn er einmal nicht in der Küche steht, sieht man auch Oliver Andersch selbst den Klassiker des Cafés, das traditionelle Witetschka-Clubsandwich, von dem jährlich 12.000 Stück verkauft werden, zubereiten. Qualität und Regionalität sind dem Chef dabei wichtig. So stammt das Hühnerfleisch vom Sulmtaler Maishendl, das Rind aus der Buckligen Welt, das Mangalitza- Schwein aus dem AMA-Tierwohlprogramm. Seine beiden Mädels, acht und dreizehn Jahre alt, scheinen die Leidenschaft des Vaters geerbt zu haben: Von der Schule gehen beide per Direttissima ins Café Witetschka – nicht zum Kuchenessen, sondern zum Abräumen und Gläserspülen.